Ziegelei LUDWIGSHOF Böhne, Strukturprobleme u. Konkurs 1893-94
Von Heike Brett Rathenow — Mail: heikebrett@gmx.deZu den einzelnen Ziegeleibesitzern wechseln Sie mit der rechten NAVIGATION >>>
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Vierteljahrschrift
für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte - Band 98, 2011Thomas Nern - Der preußische Landrat als wirtschaftspolitischer Faktor: Eine Fallstudie zum Kreis Westhavelland 1893–1907 LINK Originaldokument
Auszüge, Seite 9:
In den anderen Branchen stellte sich die Situation im Jahre 1893 differenziert dar. In der Holzwirtschaft sei ein niedriges Preisniveau infolge eines Überangebots von Holz und Holzprodukten zu beobachten. Es standen Kurzarbeit und Entlassungen bevor. Abhilfe sei, so Loebell, nicht in Sicht. Einzig der Bau einer Eisenbahnlinie Neustadt–Rathenow–Brandenburg–Zerbst könne die Situation bzw. die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig verbessern und Wachstumsimpulse setzen 36) — was damals natürlich auch für andere Branchen galt, die Massengüter wie Bau- und Rohstoffe oder Textilien herstellten. 37)
So litten auch die kreisansässigen Ziegeleien um Rathenow, ebenfalls ein relevanter Wirtschaftsfaktor bereits seit dem 16. Jahrhundert, unter der mangelnden Anbindung der Region an den Großraum Berlin — ihren Hauptabsatzmarkt. Dies äußerte sich vor allem im Sommer immer dann besonders nachteilig, wenn die Schifffahrt aufgrund von Niedrigwasser eingeschränkt oder gar eingestellt wurde. Die Ziegel, Mauer- und Verblendsteine erreichten so ausgerechnet in einer Bau-Hochkonjunkturphase nicht mehr pünktlich ihre Abnehmer bzw. die Ziegelerde nicht mehr die Fabriken, was sich regelmäßig in Produktions-, Absatz- bzw. Ertragseinbußen bemerkbar machte. Hier wird deutlich, dass der Landrat bis zu einem gewissen Grad industrielle Interessen vertrat. Dies jedoch keineswegs einseitig und undifferenziert – Loebell schlug die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur nicht ohne die Forderung an die Ziegelindustrie vor, ihre Wettbewerbssituation zu überprüfen, denn für den starken Preisverfall sei die herrschende Überproduktion hauptverantwortlich. 38)
Insofern lässt sich diese Haltung des Landrats als Beleg für eine adäquate Moderation von Wirtschaftsinteressen bewerten: Von der geforderten Bahnlinie profitierte fast die gesamte Wirtschaft im Kreis. Gleichzeitig war Loebell weitsichtig genug, der Ziegelindustrie Investitionen zu empfehlen, da er erkannte, dass die bessere Verkehrsanbindung dauerhaft nicht ausreichte, um die Konkurrenzfähigkeit zu sichern.
In den Jahren 1894 und 1895 setzte sich die Krise der Holz- und Ziegelbetriebe weiter fort, so dass sich die Kreisvertretung 1894 zu einer (indirekten) Subvention der letzteren Branche entschloss: Die bereits projektierte Chaussee von Premnitz nach Pritzerbe sollte nun mit Klinkern ausgestattet werden. Inwiefern der verantwortliche Landrat Loebell diese Maßnahme tatsächlich initiierte oder förderte, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen nicht mehr exakt sagen. Wahrscheinlich ist nach der Diktion der Berichte, dass er sich zumindest neutral bis wohlwollend verhielt. Diese Staatshilfe führte nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Branchensituation, sondern ermöglichte nur einigen Ziegeleien knapp das Überleben, andere gingen dagegen trotzdem in die Insolvenz — im Jahre 1895 sank die Produktion um ein Drittel. 39)
Das Beispiel zeigt, dass offenbar schon im 19. Jahrhundert die Subventionierung von einzelnen Branchen grundsätzlich die Marktkonsolidierung nicht verhinderte, sondern im günstigsten Fall hinauszögerte bzw. die unvermeidliche Strukturanpassungskrise vertiefte. Besser war es, wirtschaftspolitische Maßnahmen allgemein zu begründen, etwa wie Loebell die Modernisierung der Verkehrswege zur Verbesserung der (internationalen) Wettbewerbsfähigkeit forderte. Auch in den folgenden Jahresberichten verwies der Landrat immer wieder auf die internationale Konkurrenzsituation, welche bei der Bewertung der wirtschaftlichen Situation bzw. der Begründung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen bzw. erfolgsorientierten Investitionen maßgeblich sei. Loebell gerierte sich abermals als Ratgeber für staatliche und private Wirtschaftsakteure.
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29) Vgl. Friedrich Wilhelm von Loebell: Bericht zur Lage der Industrie im Landkreis Westhavelland 1892–1893 vom 23. November 1893 an den Regierungspräsidenten Potsdam, Graf Hue de Grais, in: BLha, Rep. 2A, Regierung Potsdam, IHG, Nr. 55, fol. 227–234, hier 227 f., 230.
36) Vgl. Loebell: Berichte 1892–1893 u. 1894–1895 (wie Anm. 29 u. 33), fol. 229 u. fol. 17–19. Loebell zeigte sich hier auf der Höhe der zeitgenössischen Diskussion, denn zwei Vertreter der älteren Historischen Schule, Karl Kies (1821–1898) und Gustav Cohn (1840–1919), hatten erste Untersuchungen zur Bedeutung der Eisenbahn für die Industrialisierung durchgeführt und gezeigt, dass die Eisenbahn nicht nur Folge, sondern auch Impulsgeber für die Industrialisierung war; vgl. Rainer Gömmel: Handel und Verkehr, in: Schulz u. a. (Hg.): Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 1), S. 133–145, hier 136 f.
37) Vgl. dazu v. a. Fremdling: Eisenbahnen (wie Anm. 3). Die Eisenbahnen verbilligten den Transport v. a. von Massengütern, wodurch die Produktionskosten in vielen Bereichen sanken. Außerdem vergrößerten sie den Absatzmarkt bei gleichen Kosten um ein Vielfaches.
38) Vgl. Loebell: Bericht 1892–1893 (wie Anm. 29), fol. 232–234; Geschichte Rathenow (Übersicht), 17 S., http://www.rathenow.de/Geschichte.10.0.html, letzter Zugriff 28.4.2010, hier S. 12.
39) Vgl. Loebell: Bericht 1893–1894 (wie Anm. 33), fol. 470.
40) Vgl. Friedrich Wilhelm von Loebell: Bericht zur Lage der Industrie im Landkreis Westhavelland 1895–1896 vom 26. Oktober 1896 an den Regierungspräsidenten Potsdam, Graf Hue de Grais, in: BLha, Rep. 2A, Regierung Potsdam, IHG, Nr. 56, fol. 131–133, hier 131
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Positiv wirke auch das „Ziegelkartell“, da das Preisniveau für Mauersteine stabil bzw. die Zeiten der Überproduktion und Dumpingpreise vorbei seien, zumal sich die von den Ziegeleien gebildete Verkaufsgenossenschaft bewährt habe 50) — Loebell gelangt also im Laufe der Zeit zu einer positiven Beurteilung der Kartellbildung. Dies in Verbindung mit den erwähnten Subventionen für bestimmte Wirtschaftszweige stützt sicherlich die Hypothese, dass der Landrat zumindest teilweise eine Klientelpolitik verfolgte — allerdings sollte nicht verkannt werden, dass diese sich immer um die Balance zu übergeordneten Interessen und Entwicklungen bemühte und sich in den hier ausgewerteten Quellen an keiner Stelle in irgendeiner Weise autokratisch oder gar selbstherrlich zeigte.
50) Vgl. Loebell: Bericht 1898–1899 (wie Anm. 47), fol. 213.
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In seiner Bewertung des Ziegelkartells war Miquel sogar eher kritisch: So verlören in der Ziegelindustrie die positiven Effekte der Kartellbildung — d. h. ein befriedigender Absatz zu effizienten Preisen — allmählich ihre Wirkung, denn Absatz und Preise der verschiedenen Steine entwickelten sich differenzierter als zuvor: So sei der Verkauf 1902/03 von Hintermauer- und Verblendsteinen stabil, während die Preise bei Mauersteinen sich trotz starker Nachfrage nach unten entwickelten, da die Konkurrenz sich mittlerweile auf die Kartellpolitik eingestellt hätte. Die Gesamtsituation der Branche beurteilte Miquel zwar noch als gut, jedoch hätten zwei Unternehmen die Geschäfte eingestellt. 56)
Im folgenden Jahr rettete die stark zunehmende Bautätigkeit in Berlin die Ziegeleien, da die Nachfrage nach Steinen aller Art und die Preise aufgrund der geringen Lagerbestände ebenfalls rapide wuchsen. Erneut behinderte jedoch die mangelnde Verkehrsinfrastruktur die Produktion, da aufgrund des niedrigen Wasserstandes der Havel im Sommer sowohl die Lieferung von Ziegelerde als auch der Transport der fertigen Waren teilweise zum Erliegen kam. Die Ziegelindustrie war auf die kostengünstige Binnenschifffahrt angewiesen. Das damals notwendige Ausweichen auf die Eisenbahn — seit 1904 war auch die Brandenburgische Städtebahn Treuenbrietzen–Belzig–Brandenburg–Rathenow–Neustadt an der Dosse in Betrieb, 57) die der vorherige Landrat Loebell mit initiiert hatte — und auf Fuhrwerke verteuerte Produktion und Absatz, so dass die Betriebe 1904 nur mit Verlust arbeiten konnten. Die Behörden reagierten mit der Ausbaggerung der Havel im weiteren Verlauf des Jahres 1904 nach Meinung des Landrats zu spät auf diesen — lange bekannten — Missstand. 58)
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Indirekt kritisierte Miquel damit auch seinen Vorgänger, welcher ja in der Eisenbahn die Lösung des strukturellen Wettbewerbsnachteils gesehen hatte. Miquel adjustierte aufgrund der nun vorhandenen Erfahrungen die Vorschläge des Kreises zur weiteren Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur neu. Er präferierte den Ausbau der Schifffahrtswege, die den Transport von Massengütern zu günstigen Preisen gewährleisteten, was für die ansässige Land- und Bauwirtschaft grundlegend war. Die explizite Kritik am Arbeitstempo der zuständigen Behörden illustriert, dass die neue landrätliche Prämisse mit anderen übergeordneten Interessen kollidierte und Miquel diesem Konflikt nicht auswich.
Abgesehen von diesem wirtschaftspolitischen Richtungswechsel markieren die Berichte weiterhin die Grenzen der Wettbewerbsfähigkeit der Ziegelindustrie aufgrund der Standortnachteile — trotz partieller massiver Eingriffe in den freien Wettbewerb und staatlicher Unterstützung. Der spätere Niedergang, den Schmieder vor allem auf Veränderung des Baustils bzw. die Abwendung von Ziegelbauwerken und die Konkurrenz durch andere Baustoffe wie Zement- oder Kalksteine zurückführt, 59) zeichnete sich strukturell also bereits früh ab. In den folgenden Jahren bis 1907 antizipierten die Landratsberichte diesen Abschwung, denn trotz starker Nachfrage aus dem Berliner Baugewerbe stagnierte der Absatz der Rathenower Ziegelsteine, wobei die Preise im Durchschnitt und folglich auch die Rentabilität der Betriebe kontinuierlich sanken. 60)
Der Landrat nahm zunehmend eine abwartende Haltung ein, ob die staatlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur zu einer Trendwende führten. Er war demnach primär Beobachter, Moderator und Ratgeber und erst in zweiter Linie Klientel- und Wirtschaftspolitiker, der mit kurzfristig ausgerichteten Aktionen Erfolge erstrebte
56) Vgl. ebenda, fol. 83.
57) Vgl. Schmieder: Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 344.
58) Vgl. Walther Philipp Franz von Miquel: Bericht zur Lage der Industrie 1903–1904 vom 31. Oktober 1904 an den Regierungspräsidenten Potsdam, Rudolf Graf von der Schulenburg, in: BLha, Rep. 2A, Regierung Potsdam, IHG, Nr. 59, fol. 201–204, hier 203 f.
59) Vgl. Schmieder: Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 331 f. In Rathenow wurden Ziegel wahrscheinlich noch bis Mitte des Ersten Weltkrieges produziert, vgl. Geschichte Rathenow (wie Anm. 38), S. 12.
60) Vgl. Walther Philipp Franz von Miquel: Bericht zur Lage der Industrie 1904–1905 vom 26. Oktober 1905 an den Regierungspräsidenten Potsdam, Rudolf Graf von der Schulenburg, in: BLha, Rep. 2A, Regierung Potsdam, IHG, Nr. 59, fol. 231–234, hier 234; ders.: Bericht zur Lage der Industrie 1905–1906 vom 3. Januar 1907 an den Regierungspräsidenten Potsdam, Rudolf Graf von der Schulenburg, in: BLha, Rep. 2A, Regierung Potsdam, IHG, Nr. 60, fol. 1–5, hier 4 f.